Das Astoria hatte 35 Jahre lang ein Programm der leichten Muse geboten, ehe es am 6. Oktober 1944 durch einen Bombenangriff völlig zerstört wurde – nur unterbrochen von einem Monat, als es zum Propaganda-Kino umgebaut werden sollte. Für seinen Eigentümer und Direktor Fritz stand fest, dass er nach dem Krieg in Bremen wieder einen Betrieb eröffnen würde. Schon im Mai 1945 hatte er einen Teil des alten Tivoli-Theaters gepachtet und das beschädigte Gebäude ohne Baugenehmigung aus privaten Mitteln so hergerichtet, dass er dort im Januar 1946 einen Varieté-Betrieb hätte aufnehmen können. Aber in diesen Monaten hatte sich die politische Lage in Bremen völlig verändert. Die Militärregierung entließ ihn im Herbst 1945 wegen seiner Mitgliedschaft in der NSDAP aus der Position eines Varieté-Direktorsund entzog ihm den Zugriff auf sein Vermögen.
Er musste sich einem Entnazifizierungsverfahren unterwerfen, dass sich, unter seiner Mithilfe, über zweieinhalb Jahre erstreckte, bevor er als „Widerstandskämpfer“ anerkannt wurde. Wiederaufbau des Astoria und Entnazifizierungsverfahren sind untrennbar miteinander verbunden. Es bietet einen Längsschnitt durch die amerikanische, bzw. bremische Entnazifizierungspolitik von 1945 bis 1948, insofern sogar darüber hinaus, als die britische Militärregierung in Stade Fritz zwischenzeitlich von jeder politischen Belastung freisprach. Die Entschlossenheit der amerikanischen Militärregierung, die von ihr besetzte Zone zu entnazifizieren, markiert den Beginn des Verfahrens; die Order aus Washington, sie im Frühjahr1948 zu einem Ende zu bringen, ihren Schluss.
„Ich gehe wohl nicht fehl in der Annahme, dass Sie, sehr verehrter Herr Bürgermeister, unterrichtet sind, dass meine Betriebe einmal ein besonderer Anziehungspunkt für die Stadt waren, den Fremdenverkehr belebten und einen guten Ruf im In- und Ausland genossen. Ich hoffe, auch noch einmal einen wirklichen Anziehungspunkt für die Stadt Bremen schaffen zu können und eine Unterhaltungsstätte von Kultur neu ins Leben zu rufen.“ Das hatte Fritz in seinem Gesuch an Bürgermeister Kaisen am 22. Januar 1946 geschrieben. Der Glückwunsch, den Kaisen ihm zu seinem 75. Geburtstag 1954 schickte, klang wie ein Echo: „Ich weiß am besten, wie sie sich bemühten, die Verluste, die sie durch die Kriegsereignisse erlitten haben, wieder aufzuholen und ihren Betrieb in noch größerem Glanze als zuvor wieder aufzubauen und ihn zu einer Erholungs- und Vergnügungsstatte auszugestalten, die Bremens Anziehungskraft wesentlich steigerte.“
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Zwischen diesen beiden Schreiben liegen Entnazifizierungsverfahren und Wiederaufbau des Astoria. Die Dramatik und Länge dieser Entnazifizierung ist weder der herausragenden Persönlichkeit seines Protagonisten geschuldet, noch seiner tiefen Verstrickung in den Nationalsozialismus. Sie ist vor allem auf den Umstand zurückzuführen, dass er jede politische Belastung – und sei sie noch so offensichtlich – leugnete oder mit Münchhausiaden zu kontern versuchte. Den Beteiligten wäre das langwierige Verfahren wahrscheinlich erspart geblieben, wenn Fritz bereit gewesen wäre, seine Klassifizierung als „Mitläufer“ zu akzeptieren.
Seit dem Kauf der Prachtvilla „Hennoch“ in der Parkallee im Jahr 1930 wohnte er in der besten Bremer Gesellschaft, in unmittelbarer Nachbarschaft namhafter Kaufleuten, Banker und Rechtsanwälte, wie Brabant, Gildemeister, Melchers und Stapelfeldt. 1933 nahm ihn die eklusive Eiswettgenossenschaft in ihre Reihen auf. Auf deren Feiern traten nicht nur Theaterleute auf, sondern auch Künstler des Astoria. In den dreißiger Jahren pflegten die „offiziellen“ Feierlichkeiten der Eiswette ihre „private“ Fortsetzung im Astoria zu finden – in Anwesenheit von Frauen übrigens – wo ihr die unteren Räume mit künstlerischem und Bedienungspersonal einschließlich der Küche zur Verfügung standen. Fritz wurde der Eiswette-Gastronom. Um so bemerkenswerter ist, dass in seinem Entnazifizierungsverfahren nicht ein Entlastungszeuge aus diesem Kreis auftrat. Zu weit war seine Welt der Akrobaten, Gesangskünstler der leichten Muse, Tänzerinnen und Tänzer, Zauberer, Jongleure, Kunstpfeifer und anderer Kleinkünstler mit dem dazu gehörigen Dienstleistungspersonal an Kapellmeistern, Kellnern, Garderobenfrauen, Kassiererinnen und Faktoten vom konservativen Milieu der „guten Bremer Gesellschaft“ entfernt.
Fritz hatte sich früh auf die Seite der vermutlich neuen Machthaber gestellt und war in immer engere persönliche Beziehungen zu führenden Bremer Nationalsozialisten getreten. Schon 1932 hatte er größere Geldsummen für die NSDAP gespendet. Im August 1933 hatte er ein riesiges Hitler-Portrait im Stil der damaligen Kinoplakat-Malereien am Atlantic-Café anbringen und nachts anstrahlen lassen. Das Astoria-Programmheft vom 1.1.1934 war von nationalsozialistischer Propaganda durchzogen. Es enthielt Redeauszüge von Hitler, Goebbels, Röhm, Ley und anderen. Es lag noch im April 1948 den Investigatoren vor, verschwand dann aber aus der Entnazifizierungsakte und ist seitdem – auch antiquarisch – in Bremen nicht mehr aufzutreiben. Ein Zugeständnis an die Partei waren die sonntäglichen Veranstaltungen der NS-Freizeitorganisation „Kraft durch Freude“ (KdF) im Astoria, die ein Programm zu ermäßigten Preisen bot. Dann wird es auf der Bühne nicht an Huldigungen für die Partei gefehlt haben. Braune und schwarze Parteiuniformen gehörten seit 1933 zum normalen Erscheinungsbild, obwohl Uniformen bis dahin nicht zugelassen waren. Prominente Vertreter der Partei und Gestapobeamte verkehrten hier häufig und wurden besonders zuvorkommend bedient. In den Räumlichkeiten der Emil-Fritz-Betriebe fanden auch Veranstaltungen der NSDAP statt.
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Fritz pflegte mit den NSDAP-Führern einen besonderen Umgang. Er „posierte“ mit ihnen nicht öffentlich. Sein Trumpf war der private Kontakt. Wenn er in Begleitung lokaler Parteiführer ins Astoria kam, schloss sich gleich die Tür hinter ihm und seinen Gästen. Mit der Ernennung von Heinrich Böhmcker zum Regierenden Bürgermeister im Frühjahr 1937 änderte sich die Lage noch einmal zu seinen Gunsten. Er trat in die NSDAP ein und wurde Leiter der Fachschaft Artistik in der Deutschen Arbeitsfront. Zu seinem sechzigsten Geburtstag im gleichen Jahr wurde er auf der Bühne des Astoria vom Präsidenten der Reichstheaterkammer offiziell geehrt. Fritz lud Böhmcker nun regelmäßig in sein Sottrumer Jagdhaus bei Rotenburg an der Wümme ein, wo er seit der Kaiserzeit ein eigenes Jagdrevier gepachtet hatte. Man erinnert sich in Sottrum noch an die feuchtfröhlichen Feiern im Jagdhaus, an der auch mancher Würdenträger der Gemeinde teilgenommen haben dürfte, war sie doch sehr schnell eine Hochburg des Nationalsozialismus geworden. Hier begegneten sich zwei, die aus dem gleichen Holz geschnitzt waren, denen die Ausübung von Gewalt, wenn auch in verschiedenen Ausprägungen, nicht fremd war. Für Böhmcker war es die „praktische“ Ausübung physischer Gewalt als „Lattenheine“ bei Saalschlachten. In Fritz‘ Aussagen spielte Gewalt auch eine wichtige Rolle. Einen ehmaligen Direktor beschuldigte er, „es mag im Jahr 1937 gewesen sein“ – einen Gestapo-Spitzel auf ihn angesetzt zu haben. Nach seinen Angaben „vermöbelte er ihn und warf ihn aus dem Lokal.“ Sogar seinen verstorbenen Freund Böhmcker will erauf seiner Hochzeitsfeier in der Villa- Parkallee „mit einem Faustschlag hinausbefördert“ haben, weil dieser sich als angeblich schlecht benommen hatte. Und noch einmal hätte er „diesen Schweinehund“ in einem Schlagwechsel aus dem Astoria hinausgeworfen. Höhepunkt seiner Gewaltphantasien war die Geschichte, als er einmal direkt vor dem Astoria – „es mag 1939 gewesen sein“ – „eine Rotte von 8 teils uniformierten SS-Männern mit schweren Schlägen in die Flucht geschlagen (hatte), soweit sie nicht am Boden lagen.“ Niemand hat ihm die Frage gestellt, wie er diese angeblichen zahlreichen Widerstandsaktionen unbeschadet überstanden hat. Bei Fritz dürfte es bei desen Gewaltphantasien geblieben sein, die er sich für die Ermittler ausgedacht hatte. Seine Freude an der Macht lebte er als „Alleinherrscher“ über 200 Menschen in seinem kleinen Imperium aus, in dem er keine Konkurrenten duldete. „Nachwachsende“ leitende Mitarbeiter aus der Direktionsetage wurden ausgewechselt, bevor ihre Position zu stark werden konnte. Was die beiden rigorosen Männer verband, war der Akohol, das Kartenspiel und vor allem die Jagdleidenschaft.
Seit 1941 war Amandus Völk Geschäftsführender Direktor der Emil-Fritz-Betriebe. Unter seiner Führung fanden regelmäßig Betriebsappelle nach nationalsozialistischem Ritual mit Fahnenschmuck, markigen Reden und dem Hitler-Gruß statt. Er war 1941 Fritz‘ Trauzeuge und Gast auf dessen Hochzeitsfeier, zu der auch der Regierende Bürgermeister Heinrich Böhmcker und der Generaldirektor der Deschimag/ AG Weser Franz Stapelfeldt geladen waren.
Am 20. Dezember 1945 hatte Fritz in einem sogenannten Vorstellungsverfahren den Antrag auf Anerkennung als „nur nominelles“ Parteimitglied gestellt, was ihm die Fortsetzung seiner Varieté-Direktor-Karriere erlaubt und den Zugriff auf sein Vermögen ermöglicht hätte. Aber entgegen seinen Erwartungen wurde sein Antrag abgelehnt. Das „Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus“, das am 5. März 1946 für die amerikanische Zone beschlossen worden war, bestimmte in Artikel 13, dass nur dem NSDAP-Mitglied politische „Entlastung“ gewährt würde, der „nach dem Maß seiner Kräfte aktiv Widerstand gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft geleistet und dadurch Nachteile erlitten hatte.“ Es galt zwar formell noch nicht in der Bremer „Enklave“, wurde aber Richtschnur für alle Entnazifizierungsverfahren, bevor es am 9. Mai 1947 auch in Bremen übernommen wurde. Mit seinem Revisions-Antrag vom 4. November 1946 bei der amerikanischen Militärregierung, die den ablehnenden Bescheid im Vorstellungsverfahren bestätigt hatte, reichte Fritz eine „Bescheinigung“ ein, in der ihm ein gewisser Josef Milos bezeugte, dass er „norddeutscher Verbindungsmann“ einer „illegalen Abwehrbewegung“ gewesen wäre, die von 1933 bis 1945 zahlreiche jüdische Artisten vor dem Zugriff der Gestapo gerettet hätte, indem sie ihnen zu illegalen Grenzübertritten verhalfen.
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Der Kronzeuge Josef Maassen, genannt Milos, von 1923 bis 1933 Geschäftsführer des „Internationalen Varietétheater – und Circus-Direktoren-Verbands e.V.“ in Berlin, war im Verfahren bisher nicht als Zeuge in Erscheinung getreten. Er behauptete, dass Jules Marx, der jüdische Direktor der weltberühmten Berliner Scala, seit 1933 an der Spitze dieser „Abwehrbewegung“ gestanden hätte. Mit ihm hätte er im Herbst 1937 in Berlin Rücksprache darüber gehalten, ob man Fritz für die illegale Abwehrarbeit gewinnen könnte. Aber Marx lebte seit 1933 in Paris auf der Flucht vor den Nazis, die ihn steckbrieflich suchten. Ausgerechnet ihn, der 1944 im Konzentrationslager Sachsenhausen umkam, hatten Milos und Fritz als „Kronzeugen“ benannt. Nicht genug damit. Milos nannte fünf weitere angebliche Zeugen für seine Behauptungen, alles Varieté-Direktoren, die in Konzentrationslagern umgekommen waren. Dass nur tote Zeugen „auftraten“, wurde von den Spruchkammervorsitzenden hingenommen. Die Münchhausiade der illegalen Abwehrbewegung wurde zum harten Kern der Entnazifizierung, die Mitgliedschaft in der NSDAP zum Akt des Widerstandes: „Ich wäre zu dieser illegalen Abwehrarbeit niemals in der Lage gewesen (wäre), wenn ich mich nicht rein äußerlich zu der NSDAP und ihren führenden Persönlichkeiten in eine Lage gebracht hätte, nach welcher man mir zur Zeit des nationalsozialistischen Regimes die illegale Tätigkeit nicht zutraute.“[293] Die Spruchkammer übernahm Fritz‘ Sicht der Dinge: „Die formale Mitgliedschaft (…) war auch wohl zu Tarnungszwecken notwendig, denn sonst hätte er nicht seine illegale Abwehrtätigkeit für jüdische Mitbürger leisten können.“
Fritz‘ Verteidigungsmethode war der Angriff. Zeugen, die belastende Aussagen machten, diffamierte er, auch wenn sie jahrelang wichtige Mitarbeiter in seinen Betrieben gewesen waren. Seine Geschichten, auch wenn sie widerlegt waren oder sich widersprachen, schleppten sich durch das ganze Verfahren, weil Fritz, die Zeugen oder die Spruchkammervorsitzenden den Überblick verloren hatten.
[293] Revisions-Antrag vom 4. November 1946, a.a.O.
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Mit parallelen Entnazifizierungsanträgen in der britischen und amerikanischen Zone steigerte er die Verwirrung der Ermittler. Die britische Militärregierung in Stade stufte ihn schon Ende 1946 als politisch „entlastet“ ein. Grundlage war ein Deal, den Fritz mit zwei Besatzungsoffizieren über die Betreuung britischer Truppen abgeschlossen hatte. Dem entlastenden Votum der britischen Militärregierung schloss sich der deutsche Denazifizierungs-Ausschuss in Rotenburg 1947 an, der für Sottrum zuständig war. Das „Gesetz zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus“ unterwarf ihn aber einem Entnazifizierungsverfahren in Bremen. Nachdem zwei öffentliche Kläger es abgelehnt hatten, ein Spruchkammerverfahren gegen ihn zu eröffnen, weil sie der Meinung waren, dass die Entnazifizierung in der britischen Zone Gültigkeit hätte, führte erst der dritte vom Senator beauftragte ein Verfahren durch. Der Vorsitzende sprach Fritz von jeder politischen Belastung frei. Grundlage seines Urteils war die angebliche Widerstandstätigkeit von Fritz.
Zweifel an ihrem Wahrheitsgehalt kamen dann doch noch im Rahmen der Ermittlungen auf. In einem sogenannten D und E Report, den Joseph Napoli veranlasst hatte, der verantwortliche amerikanischen Offizier für die Entnazifizierung in Bremen, kam es noch einmal zu einer gründlichen Untersuchung mit der Vernehmung vieler Zeugen.Die deutschen Ermittler nannten die Widersprüche beim Namen und empfahlen, Nachforschungen über die angebliche illegale Abwehrarbeit in Berlin anzustellen. Die Fritz belastenden Ergebnisse führten zum zweiten und letzten Spruchkammerverfahren, dessen Vorsitzender den Empfehlungen der Ermittler im D und E Report allerdings nicht nachging – im Gegenteil. Für ihn war die angebliche Widerstandstätigkeit der ausreichende Grund für die politische Entlastung. Ohne sie hätte er Fritz als „Minderbelasteten“ nach dem Befreiungsgesetz eingestuft.
Mit dem Tag des Urteils vom 8. Juli 1948 verschwand die „illegale Abwehrbewegung“ des Emil Fritz aus den Annalen der Bremer Geschichte und mit ihr der „Kronzeuge“ Josef Maassen, alias Milos so plötzlich, wie sie am 16. September 1946 aufgetaucht waren. Dieser wurde danach in Bremen nicht mehr gesehen, weder bei der spektakulären Eröffnung des Astoria am 6. Oktober 1950, noch zu Fritz‘ 75. Geburtstag am 25. März 1952. In den Feierlichkeiten zu Milos‘ 75. und 80. Geburtstag 1958 und 1963 in Westberlin wurde seine Lebensleistung zum Wohl tausender Varieté-Artisten in allen Einzelheiten gewürdigt. Eine ruhmreiche Widerstandstätigkeit in den Jahren 1933 bis 1945 zum Wohl verfolgter jüdischer Artisten in Berlin war nicht darunter.
In den Dokumenten des Bremer Staatsarchivs findet sich immerhin noch ein Epilog, der hinter die Entnazifizierung von Emil Fritz ein Fragezeichen setzt. Er ist in zwei Aktennotizen des von Napoli hoch geschätzten Senators für Befreiung Alexander Lifschütz vom 23. Und 27. Juli 1948 festgehalten. Nach einer Rücksprache mit Napoli hatte er notiert, dass sie beide sehr wohl davon überzeugt wären, dass Fritz ein Mitläufer des Nationalsozialismus war. Aber die Militärregierung erachte Fritz als „nicht wert, ihm noch große Bedeutung beizulegen.“ Lifschütz war der gleichen Meinung und verzichtete darauf, ein weiteres Spruchkammerverfahren gegen ihn zu eröffnen.
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Die Finanzierung des neuen Astoria hinterlässt mehr Fragen als Antworten. Wegen seiner hohen Verschuldung hatte Fritz mehrfach versucht, eine „kleine Lösung“ für den neuen Varietébetrieb zu finden, den er von Anfang an geplant hatte. Schon im Mai 1945 hatte er den noch nutzbaren Teil des im Krieg teilweise zerstörten alten Tivoli-Theaters von der Stadt gepachtet. Später wollte er in Teilen des Lloyd-Gebäudes ein neues Astoria einrichten, wofür er schon Baupläne von seinem Architekten Ostwald hatte anfertigen lassen. Als auch das scheiterte, plante er die Wiedereröffnung des Atlantic-Cafés im Lloyd-Gebäude. Sein viertes Projekt war der Wiederaufbau des Atlantic-Cafés in der Knochenhauerstraße. Alle diese Pläne wurden von senatorischer Seite verworfen, zunächst auch aus Gründen, die in seiner Person lagen. Es war Bausenator Theil, der ihn wegen seiner Verstrickung in das nationalsozialistische Regime nicht in der herausragenden Stellung eines Direktors des Astoria akzeptieren wollte. Bürgermeister Kaisen und Finanzsenator Nolting-Hauff lehnten dagegen jede Planung ab, die nicht zum Wiederaufbau des Astoria unter der Direktion von Emil Fritz am gleichen Ort und in alter Pracht führen würde. Es ging ihnen darum, den Hafenverkehr durch Einrichtungen zu fördern wie das Astoria, die mittelbar den Häfen dienten. Nur Fritz böte Gewähr dafür, das Unternehmen zu repräsentieren. Hohe Steuereinnahmen wären zu erwarten. Der Blick war auch nach Hamburg gegangen, wo das im Juli 1943 zerstörte Hansa-Theater wieder aufgebaut und schon im August 1945 wiedereröffnet worden war.
Seit dem Einlenken von Bausenator Theil aus übergeordneten wirtschaftlichen Gründen, spielten politische Vorbehalte gegen Fritz keine Rolle mehr, ungeachtet seines noch ausstehenden Spruchkammerverfahrens. Baudeputation und Architekt erhielten grünes Licht für die konkrete Bauplanung. Die an der Planung Beteiligten erwartete allerdings eine böse Überraschung. Auf Vorschlag von Fritz war man übereingekommen, dass die Stadt sein Grundstück in der Knochenhauerstraße 6/7 kauft und er mit der Kaufsumme den Wiederaufbau des Astoria im Wesentlichen finanziert. Die Angelegenheit war schon bis zum Entwurf des Kaufvertrags gediehen. Aber Fritz hatte dem Senat verschwiegen, dass die Knochenhauerstraße hoch verschuldet war.
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Auf dem Grundstück lag eine Hypothek von 600.000 Reichsmark. Im Gefolge der Währungsreform mit ihrer Geldabwertung von 10:1 war diese zwar auf 60.000 DM reduziert worden, aber die „restlichen“ 90 Prozent, also 540.000 DM, blieben als „Umstellungsgrundschuld“ auf dem Grundstück liegen. Diese Summe stand im Rahmen der Gewinnabschöpfung durch den Lastenausgleich der öffentlichen Hand zu, wenn auch in Raten und über einen langen Zeitraum. Die Stadtgemeinde Bremen hätte also gewissermaßen ihr eigenes Grundstück gekauft. Dem Bausenator blieb nichts anderes übrig, als seinen Senatskollegen das Scheitern des Finanzierungsplans mitzuteilen und um neue Vorschläge zu bitten.
Theils Einlassungen sind das letzte Schriftdokument in der Finanzierungsakte. Die Verhandlungen, die letztlich doch noch zur Finanzierung des Wiederaufbaus geführt haben, sind nicht dokumentiert. Wir finden lediglich noch eine Urkunde in der Senatsakte. Es ist der Vertrag der Stadt Bremen mit Emil Fritz über den Erwerb des Grundstücks Knochenhauerstraße 6/7. Dem Kaufvertrag ist zu entnehmen, dass die Stadtgemeinde das Grundstück frei von Hypotheken, Grund- und Rentenschulden übernommen hat. Was aus der Umstellungsgrundschuld von 540.000 DM geworden ist, die auf dem Grundstück lastete, wissen wir nicht. Wir können nur ausschließen, dass Fritz sie damals getilgt hat. Für das Grundstück erhielt er im Übrigen nicht nur die von den von der Baudeputation angesetzten Verkehrswert von 144.800 DM, sondern noch knapp 40.000 DM zusätzlich. Auf welchem Weg die Finanzierung letztlich über die Bühne gegangen ist, erschließt sich nicht aus den Senatsakten. Der Gang der Dinge lässt vermuten, dass ein Machtwort von Kaisen dabei den Ausschlag gegeben hat, der es sich nicht nehmen ließ, Fritz zum 75. Geburtstag 1952 zu einem Helden der „Stunde null“ zu erklären.