Teil I – Vom Pferdestall zum Astoria

Die Katharinenstaße in der Altstadt war seinerzeit in viele schmale Grundstücke und entsprechende Häuser aufgeteilt, wie auf der Skizze zu erkennen ist, die ein Architekt 1905 angefertigte, der die Aufgabe hatte, die Nr. 35 in einen Pferdestall umzuwandeln. Dieses Haus wurde 1929 mit seinem Nachbarhaus Nr. 34 Teil des Astoria.

1905 Die Nummer 35 wird Pferdestall; Eigentümer J.E. v. Lindt

Die Geschichte des Astoria beginnt in Haus Nr. 33, das an der Rückwand des Katharinenklostergebäudes lag. Eigentümer war der Kaufmann  J.W. Tobeck, der 1899 die Lizenzen für ein Restaurant im Erdgeschoss und einen Konzertsaal im Obergeschoss erhielt und entsprechende Umbauten in dem ehemaligen Packhaus vornahm.

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Saal und Bühne im 1. Obergeschoss – Umbau-Skizzen von Haus Nr. 33 im Jahr 1899
Die Bühne. Skizze des Architekten.

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1908 erwarb Emil Fritz das Haus Nr. 33 und meldete den Betrieb einer „Restauration“ und eines Weinhandels beim Amtsgericht an.

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Im gleichen Jahr ließ er es durch den Architekten J.W. Ostwald – den er fortan mit allen Umbauten
betraute[7] – aufwändig umbauen. Am 5. September des gleichen Jahres wurde es als Astoria eröffnet.
1910 erfolgte ein kleinerer Umbau im Erdgeschoss. Die Grundrisse zeigen die beiden
Etagen des Astoria in jener Zeit.

Umbau 1910 Katharinenstraße 33 Eigentümer Fritz

[7] Ostwald (1879 bis 1950) war bis ins Jahr seines Todes insgesamt 42 Jahre für Fritz tätig.
Er erstellte auch den Neubau des Astoria im Jahr 1950 (siehe Kapitel „Exkurs: Architekt J.W. Ostwald).

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Man kann es getrost als Wagnis bezeichnen, dass Fritz ein Haus der ganz leichten Muse im konservativen Bremen eröffnete. Aber die Bremer gewöhnten sich nach und nach an die leichte Unterhaltung und damit auch an das Astoria, bis auch Besucher aus besseren Kreisen kamen: Kaufleute, Kapitäne und Offiziere. Das hatte allerdings seine Grenzen.

Das Astoria war im Krieg für Offiziere in Uniform verboten, wie das Flugblatt von 1916 zeigt.

Aus dem Gästebuch von Hans Wagenführ, Eiswettgenosse seit 1924; von 1928 bis zu seinem Tod 1932 Präsident der Eiswette von 1829.[8]

[8] Arndt Frommann, Die Bremer Gästebücher des Hans Wagenführ 1914 bis 1832. 188 Seiten. Mit
180Abbildungen. Privatdruck. Bremen, 2018. Lesesaal im Staatsarchiv der Freien Hansestadt Bremen (StAB
Ab-281) Vgl. auch die Website des Verfassers www.diegeschichtederbremereiswette.de , Kapitel 2
Kriegsschock und Revolutionstrauma.

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Aus dem Astoria-Programmheft zum 25-jährigen Jubiläum vom April 1933.
StAB Af 21

1914 eröffnete er ein weiteres Etablissement, das Café Atlantic in der Knochenhauerstraße Nr. 6/7. Kaum vier Jahre später, am 22.1.1919, erwarb er das dazugehörige Grundstück, zusammen mit der Herdentorswallstraße 78. Das Grundstück Knochenhauerstraße ging durch bis auf die Herdentorswallstraße. Die beiden Grundstücke hingen zusammen.

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Der Kauf dieser Grundstücke in bester Innenstadtlage weist auf den schnellen Erfolg seiner Etablissements hin. Er bezeugt auch eine große Risikobereitschaft, ja Kaltblütigkeit, sich in den Monaten der politischen Unruhen und des radikalen politischen Umbruchs in Deutschland, als noch niemand so recht wusste, wie es weitergehen würde, hoch zu verschulden.[9]

1926 beauftragte Fritz den Architekten Ostwald damit, im Obergeschoss des Café Atlantic ein Tanzcafé und eine Bar einzurichten. Die Kosten dafür waren sehr hoch. Sie betrugen zwischen 250.000 und 300.000 RM.[10]
Von nun an firmierten die beiden Etablissements unter dem gemeinsamen Namen Atlantic-Haus als Atlantic-Tanzpalast-Columbus-Bar und Atlantic-Kaffee.

Das neue Logo des Astoria mit dem Atlantic-Haus 1926

[9] Die Grundbucheinträge mit „Restaurateur“ Fritz als Eigentümer sind vom 31. Januar 1919. Wenn wir die Kaufverhandlungen berücksichtigen, die dem notariellen Kaufvertrag und dem anschließenden Grundbucheintrag vorausgingen, können wir davon ausgehen, dass sie noch während des Krieges begonnen wurden. Mitteilung des Grundbuchamtes vom 22.1.1919 an die Baupolizei über den Eintrag von Fritz als Eigentümer der beiden Grundstücke am 31. Januar 22.2.1919. Bauaktenarchiv beim Senator für Bau Bremen AZ 4,125/1-5065.
[10] Mitteilung von Fritz an die Baupolizei Bremen vom 20. Dezember 1926. Genauere Angaben konnte er noch nicht machen, „da einige Rechnungen noch nicht richtig gestellt sind.“ Senat für das Bauwesen. Baucharchiv.

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Mit Gattin in Venedig 1927. Ein gemachter Mann auf der Welle des Erfolgs. Postkarte an Hans Wagenführ. Aus den Gästebüchern des Präsidenten der Bremer Eiswette Hans Wagenführ.[11]

Der große Wurf für die Erweiterung des Astoria war nur möglich durch den Zukauf der beiden Nachbargrundstücke Nr. 34 und 35. Fritz hatte wieder den Architekten Ostwald damit beauftragt. Das Astoria erhielt einen großen Theatersaal mit Logen und mehreren Gesellschaftsräumen (Spiegelsaal, Goldsaal, Jagdzimmer).
Es wurde „ein Labyrinth von Räumen und Sälen.“[12] Für den Kauf der

Grundstücke und für die Umbauten in den Jahren 1926 bis 29 waren hohe Kredite erforderlich von insgesamt einer Million RM, die Fritz bei der Schröderbank und bei der Sparkasse Bremen aufnahm.[13]

[11] Arndt Frommann, Die Bremer Gästebücher des Hans Wagenführ, a.a.O.
[12] Rolf Wolle, zitiert in: http://rolfwolle.de/damals/astoria/seite1.html am 12.02.2021.
[13] Angaben von Emil Fritz bei seiner Vernehmung vor der Spruchkammer am 9. August 1946. Dok 89.

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Kauf der Villa Hennoch / Mitglied der Eiswettgenossenschaft

1930 kaufte Fritz die Villa Hennoch in der Parkallee 109 mit einem 600 qm großen Grundstück.[14] Es war ein bürgerlicher Prachtbau aus dem Jahr 1901 mit Eingangshalle, Wintergarten und offener Veranda. Allein das Esszimmer hatte 49 qm, der Salon 36 qm. Außerdem gab es noch ein Herrenzimmer und ein Wohnzimmer. Die Wohnfläche im Erdgeschoss hatte 188 qm. Im Obergeschoss befanden sich drei Schlafzimmer und eine Fremdenstube. Im Dachgeschoss gab es zwei Kammern für das Personal und eine Turmstube. Zuzüglich der Sanitärräume mit „Wasser-Closet“ und Keller hatte die Villa eine Wohnfläche von etwa 400 qm.[15] Zu den Nachbarn von Fritz zählten 1935 der Regierende Bremer Bürgermeister Otto Heider, die Kaufleute, Banker und Rechtsanwälte Brabant, Deiters, Gildemeister, Helms, Melchers, Schröder und Stapelfeldt. Hier wohnte noch 1935 der jüdische Kaufmann und Kaufhausbesitzer Julius Bamberger.[16] 1933 nahm ihn die exklusive Bremer Eiswettgenossenschaft von 1829 als Mitglied auf. Fritz wurde ihr Gastronom. Die jährliche Eiswettfeier hatte „eine inoffizielle Fortsetzung“, wie Karl Löbe, ein ehemaliger Präsident, in seiner Chronik von 1979 erzählte: „Solange das weit über Bremen hinaus berühmte Astoria (…) noch bestand, stellte der Besitzer, natürlich ein Wettgenosse, die unteren Räume mit künstlerischem und Bedienungspersonal einschließlich Küche der Eiswette zur Verfügung. Eine Anzahl Eiswettdamen wagten sich dann herein und störten außer ihrem Ehepartner niemand.“ [17] Fritz war in der besten Bremer Gesellschaft angekommen.

[14] Seitdem wurde er dort im Bremer Adressbuch geführt.
[15] StAB, 4,125/1-8150/ Parkallee 109, Band 1.
[16] Heider in Nr. 209, Bamberger in Nr.44. Franz Stapelfeldt, Generaldirektor der DeSchiMAG) wohnte in Nr. 95. Er nahm an der Hochzeitsfeier von Fritz 1941 teil; Carl Julius Brabant, Generaldirektor der Jute-Spinnerei in Nr. 113; Friedrich Schröder, Bankier und Andreas Helms, Kaufmann in Nr.119; Otto Melchers, Kaufmann in Nr. 125; ab 1939 Friedrich Deiters, Textilkaufmann in Nr.107; sein unmittelbarer Nachbar; auch er nahm an der Hochzeitsfeier von Fritz 1941 teil; er gehörte zur Jagdgesellschaft von Fritz in Sottrum. Weitere Bewohner der Parkallee im Jahr 1935: August Henschen, Rechtsanwalt und Notar (Nr.43), der Kaufmann Wilhelm Lahusen (Nr.55), der Kaufmann Daniel Entholt (Nr. 133).  Angaben im Bremer Adressbuch von 1935. 
[17] Karl Löbe, 150 Jahre Eiswette von 1829 in Bremen, Bremen 1979, 1. Auflage, S.108. Löbe war von 1968 bis 1970 Präsident der Eiswette. 1998 erschien postum eine zweite Auflage, herausgegeben vom Präsidium der Eiswette.

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Die Villa Hennoch, Parkallee 109 im Jahr 1901; Frontansich
Innenansicht

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Einbau eines Kinos 1932

Immer auf der Suche nach neuen Attraktionen, hatte Fritz die Idee, seine Gäste an den Segnungen des Kinos teilhaben zu lassen, das immer populärer geworden war.[18] Seit 1929 wurden in Bremen auch Tonfilme gezeigt. Das Neueste waren „Wochenschauen“, die seit 1930 im Vorprogramm liefen. Zehn bis elf Minuten lang berichteten sie über politische, gesellschaftliche, sportliche und kulturelle Ereignisse. Auf sie hatte Fritz es abgesehen. Er beauftragte Architekt Ostwald mit der Einrichtung eines Film-Vorführraums im Astoria. Ohne Baugenehmigung machte sich der Architekt ans Werk und war damit fertig, noch bevor am 28. Dezember 1931der Bauantrag gestellt war.

[18] In den zwanziger Jahren waren zahlreiche Kinos in Bremen gebaut worden oder aus Umbauten hervorgegangen. (Roland-Theater 1925; Europa-Palast 1926; Tivoli 1927; Schauburg 1929 u.a.).

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Dieses Vorgehen war zwar ungesetzlich, aber erfolgreich. Am 7. Dezember bestellte Fritz die Feuerwehr-Direktion ins Astoria zur Abnahme seines neuen „Bildwerferraums“. Die stellte fest, dass die Einrichtung nicht den feuerpolizeilichen Voraussetzungen für das Vorführen von Filmen entsprach. Wegen der großen Brandgefahr, die damals von den Filmrollen ausging, wäre eine Abtrennung von den Restaurantplätzen auf der offenen Galerie notwendig gewesen.[19] Fritz konnte aber die Feuerwehrleute davon überzeugen, dass er nur eine zehnminütige „Wochenschau“ zeigen wollte. Und tatsächlich erhielt er die Betriebserlaubnis, wenn auch unter strikten Auflagen. Die 150 bis 200 Meter lange Filmrolle durfte nicht im Astoria gelagert werden, sondern musste zu jeder der täglich einmaligen Vorstellungen am Abend aus dem in der Nähe liegenden Europa-Palast entliehen und unmittelbar nach der Vorführung wieder dorthin zurückgebracht werden. Auch die Baupolizei zog mit. Sie war zwar über den fait accompli nicht erbaut, erteilte aber nachträglich die Bauerlaubnis, nicht ohne gegen Fritz und Ostwald je eine Geldstrafe von 20 RM „wegen Bauens ohne Genehmigung“ zu verhängen. Architekt und Bauherr werden es mit Fassung getragen haben. Am 1. März 1932 kam die „Schlussabnahme-Bescheinigung“. Die Feuerpolizei ergänzte die Auflagen mit der Order, dass während der Vorführung „der Zuschauerraum nur soweit verdunkelt werden (darf), dass das Zurechtfinden der Zuschauer in den Restauranträumen nicht beeinträchtigt wird.“[20]

[19] So wie es im September 1944 bei der Umwandlung des Theatersaals in ein Kino dann geschah.
[20] Schlussabnahme-Bescheinigung der Baupolizei vom 1. März 1932. Bauarchiv des Bausenators. Akte Katharinenstraße 33-35.

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25-jähriges Jubiläum 1933

Titelseite des Programmheftes zum 25-jährigen Jubiläum.
StAB Af 217

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Aus dem Programmheft von 1933. Glückwünsche von zwei Größen  aus der Welt des Varietés: Jules Marx, Direktor der weltberühmten Berliner Scala, Präsident des „Internationalen Varietétheater und  Zirkus-Direktoren- Verbandes Berlin. und Joseph Milos, seit 1923 Geschäftsführer dieses Verbandes. Beide werden auf völlig unterschiedliche Weise noch wichtige Rollen im Lauf des Verfahrens spielen. 

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Eine besondere Ehre erlebte Fritz 1933 durch den Intendanten des Stadttheaters Willy Becker, der in launigen Worten die zeitweilige und teilweise „Übersiedlung“ der Johann Strauß-Operette „Die Fledermaus“ ins Astoria begründet. Der zweite Akt böte die Möglichkeit, „auch eine Reihe der Kunstdarbietungen des Astoria-Programms organisch in sich aufzunehmen.“ Offensichtlich hatte man Spaß bei der Sache, wie das Foto zeigt.

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Plakate 1934; Privatarchiv Hans-Georg Wiedemeyer, Sottrum

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Astoria-Postkarte Mitte der dreißiger Jahre. Bild: imago
Astoria in den dreißiger Jahre. Bildarchiv des StAB

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Astoria in den dreißiger Jahren; Privatarchiv Hans-Georg Wiedemeyer,  Sottrum

Jeden Monat ein neues Programm. „Bis zu drei ausverkaufte Vorstellungen täglich boten internationales Spitzenvarieté, jene unbeschreibliche Melange aus Artistik, Komik, Tanz, Gesang und Unterhaltung.“[21] Auf dem Olymp der Unterhaltungsindustrie – mit Scala, Wintergarten, Walhalla u.a. in Berlin, Hansa-Theater und Haus Vaterland in Hamburg, Georgspalast in Hannover, Schumann-Varieté in Frankfurt, Eden Arcadia in Leipzig, Liebig-Theater in Breslau u.a. – verortete sein Direktor Fritz auch das Astoria.

„Alle ähnlichen Unternehmungen in den Schatten gestellt“

Aus dem Programmheft zum 25jährigen Jubiläum im April 1933:  „Das „Blaue Band“ des Ozeans ist eine Siegtrophäe, die mit Stolz Deutschlands bedeutendstes Schifffahrts-Unternehmen – der Norddeutsche Lloyd – durch seine beiden Standard-Dampfer „Europa“ und „Bremen“ erobert hat. Wenn es eine solche Auszeichnung auch für Rekordtaten in der Vergnügungs-Industrie gäbe, so gebührte sie unstreitig den „Emil-Fritz-Betrieben“ Bremen, die durch ihr „Astoria“ alle ähnlichen Unternehmungen in den Schatten gestellt haben.“

So wie das Rathaus ein Glanzpunkt der Bremer Vergangenheit ist, so ist das Astoria „ein Glanzpunkt der Gegenwart“. „… es gibt kaum einen Künstler von Weltruf, der nicht für dieses vorbildliche Unternehmen gewonnen wurde. (…) Ebenso wie der Norddeutsche Lloyd stolz sein kann auf seine Standard-Schiffe, die ihm das „Blaue Band“ des Ozeans errungen haben, ebenso kann Bremen, ja ganz Deutschland stolz sein auf sein STANDARD ETABLISSEMENT „ASTORIA“.

[21] Rolf Wolle zitiert in: http://rolfwolle.de/damals/astoria/seite1.html am 12.02.2021.

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Aus dem Programmheft zum 25. Jubiläum im April 1933

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Werbung für die Bremer nationalsozialistische Zeitung B.N.Z. Ein erstes politisches Signal an die neuen
Machthaber im April 1933. 1934 werden sich an dieser Stelle führende Nationalsozialisten mit Auszügen
aus ihren Reden ein Stelldichein geben.