Allgemeines zum Buch

Einführung

Die Entnazifizierungsakte von Emil Fritz im Staatsarchiv Bremen ist weder inhaltlich noch durchgehend chronologisch geordnet. Die verschiedenen Ebenen des Verfahrens haben je eine eigene Zeitleiste. Dieselben Geschichten, ob wahr oder erfunden, tauchen ebenso gut am Anfang wie am Ende auf, ohne unbedingt am Lauf des Verfahrens etwas zu ändern.  Es gibt nur eine Konstante: den unbedingten Willen des Protagonisten, ohne politische Schramme aus der ganzen Sache herauszukommen.

Wir finden in diesem Verfahren viele typische Ingredienzen einer Bremer Entnazifizierung: Persilscheine, einen energischen Untersuchungsausschuss-Vorsitzenden Carl Katz,  genervte Spruchkammervorsitzende, einen mit allen Wassern gewaschenen Rechtsanwalt, einen zwischen Zorn und Resignation schwankenden Napoli, einen machtlosen Befreiungssenator Lifschütz, einen hilflosen Bausenator Theil, einen Machtwort sprechender Bürgermeister und einen von allen politischen Verdächtigungen befreiten Parteigenossen. Manch windiger Zeuge meldet sich zu Wort, aber auch ein unbeirrbarer. Wir erfahren aus den Dokumenten viel über die Hintergründe einer Bremer Legende, die wundersame Wiederauferstehung des Astoria und seines Direktors aus den Trümmern des Zweiten Weltkriegs.

Das Astoria! Es gibt viele ältere und wenige ganz alte Bremer, deren Augen noch heute leuchten, wenn sie über das Varieté-Theater sprechen, das fast durchgehend von 1908 bis 1967 das Vergnügungsleben der Stadt belebte. Seine Ausstrahlung machte nicht im Bremer Raum Halt. Beleg dafür sei eine Anekdote, die Wirtschaftssenator Hermann Wolters 1958 im Programmheft zum 50jährigen Bestehen des Astoria erzählte. Zugleich veranschaulicht sie den Paradigmenwechsel, den die Bremer Wirtschaft seitdem erlebt hat: „Kürzlich sagte ich in einer Ansprache vor Tagungsgästen aus dem Binnenlande: Wenn man von Bremen spricht, dann denkt man an Schiffe und Frachten, Werften und „Wagen“, an Wolle und Baumwolle, Tabak und Kaffee, an Rotwein und …. (Zwischenruf:) „… ans Astoria! Der Mann hatte recht.“[1]

In den dreißiger Jahren beschäftigten die Emil-Fritz-Betriebe mit dem Varieté Astoria und dem Atlantic-Haus mit Tanzcafé etwa 200 Personen, Artisten und andere Künstler nicht mitgerechnet. Ein Engagement bei Fritz konnte der Beginn einer Karriere sein. 1929 erhielt Emil Fritz von Otto Reutter[2], einem der ganz Großen auf den deutschen Bühnen der leichten Muse, den Ritterschlag: „Direktor werden kann man nie, dazu wird man geboren. Sie sind es. Sie sind ein Genie der deutschen Direktoren.“[3] Ein Präsident der „Internationalen Artistenloge“ erinnerte sich 1946 an die Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg: „Wir möchten Ihnen sagen, „dass Sie in Ihren beiden Häusern Astoria und Atlantik (…) nur allerbeste Programme geboten haben und dadurch Tausenden von guten Artisten Verdienstmöglichkeiten gaben. Die Artisten waren gern bei Ihnen tätig, da Ihr Astoria-Varieté gleichzeitig eine sehr gute Reklame für alle Artisten war.“[4]

Gut zweieinhalb Jahre dauerte die Entnazifizierung des Protagonisten vom Berufsverbot und der Vermögensblockierung durch die Militärregierung im November 1945 bis zur endgültigen politischen Entlastung am 8. Juli 1948. Seine Akte im Staatsarchiv Bremen umfasste schließlich 325 Dokumente. Im letzten Jahr des Verfahrens gab es ein wahres Stakkato von Entscheidungen, die Fritz als politisch „entlastet“ einstuften und ihren Aufhebungen durch den Senator für politische Befreiung, bzw. durch die amerikanische Militärregierung, bis er auf der Grundlage des „Gesetzes zur Befreiung von Nationalsozialismus und Militarismus“ in einem Spruchkammerverfahrenendgültig und rechtskräftig unter Aufhebung der Vermögenssperre in die „Klasse V“ als „Entlasteter“ eingestuft wurde. Fünfeinhalb Jahre dauerte es, bis das neue Astoria auf dem Grundstück des zertrümmerten alten wieder seine Türen öffnete – vom Antrag auf Einrichtung „eines dem Astoria ähnlichen Betriebes“ am 15. Mai 1945 bis zum Tag seiner Wiedereröffnung am 6. Oktober 1950.

[1] „Dem Hause Emil Fritz zum 5. September 1958“. Im Programmheft „50 Jahre Astoria Theater Bremen.“. Vgl. den Artikel im Weser-Kurier „Erinnerungen an ein „Genie der Direktoren“. Vor 60 Jahren starb der Varieté-König Emil Fritz“ vom 7.8.2014.
[2] Otto Reutter (1870 bis 1931I) Sänger, Komiker, Liedermacher, der besonders mit seinen Couplets große Erfolge feiern konnte.
[3] Zitiert bei Monika Felsing (Hg.), Unser Astoria. Erinnerungen an Bremens großes Varieté in den fünfziger und sechziger Jahren. Bremen 2008, Books on Demand GmbH, Norderstedt, eine reich bebilderte und detailreiche
Darstellung verschiedener Autoren, S. 18.
[4] W. Feldmann, „Zonensitz-Präsident“ der „Internationalen Artistenloge“ in einem Brief an Fritz vom 17. Oktober 1946., Dok 155.


Quellen zu Kapitel I bis III

Die wichtigsten Quellen neben der Entnazifizierungsakte von Emil Fritz (StAB 4,66-I.-3189) sind die seiner Direktoren Willi Hasché (StAB 4,66-I.-3189), Amandus Völk (StaB 4,66-I.-11675) und Georg Meyer (StAB 4,66-I.-7308), sowie die des Leiters der DAF-Organisation Hago, Gerhard von Hagel (StAB 4,66-I.- 3962). Zu Rate gezogen wurde auch die Entnazifizierungsakte des Vorsitzenden des ersten Untersuchungsausschusses im Vorstellungsverfahren, Hermann Krause (StAB 4,66-I-5983).

Viel historisches Material lieferten die Bauakten des Astoria-Grundstücks Katharinenstraße Nr. 33 – 35. Es befindet sich heute im Eigentum der Nord LB, vormals Bremer Landesbank,[6] die es dem Verfasser freundlicherweise erlaubte, die mit dem Astoria zusammenhängenden Dokumente zu verwenden. Informativ waren die Bauakten das Atlantic-Grundstücks Knochenhauerstraße 6/7, das die Stadt ihm1949 abkaufte,  (Bauaktenarchiv beim Senator für Bau Bremen AZ 4,125/1-5065), des Tivoli An der Weide 10 (StAB 4,125/1-537 bis 541), des Villengrundstücks von Fritz in der Parkallee 109 (StAB 4,125/1 – 8150 und – 8151 – 2 Bände) und sein Nachlass (StAB 4,75/5-4192).

In einem Berliner Antiquariat entdeckte ich zwei Berliner Zeitungssammlungen mit Berichten über den 75. und 85. Geburtstag von Josef Maassen, genannt Milos, dem Kronzeugen für Fritz‘ angebliche Widerstandstätigkeit. Herrn Hans-Georg Wiedemeyer vom Heimatverein Sottrum habe ich nützliche Informationen zu Fritz‘ Aufenthalt in Sottrum zu verdanken.

Die Dokumente aus der Entnazifizierungsakte von Emil Fritz werden mit „Dok“ und den laufenden Ziffern zitiert, sofern diese vorhanden sind. Zahlreiche Dokumente sind nicht gekennzeichnet. Auf eine Nennung von Dokumenten in den Anmerkungen wird dann verzichtet, wenn sich die Art des Dokuments, sein Titel und das Datum aus dem fortlaufenden Text ergeben. Da die Akte weder durchgehend chronologisch, noch inhaltlich geordnet ist, sind die Signaturen nicht immer hilfreich. 

[6] Am Eingang zur Katharinenpassage ist heute eine Gedenkplatte an der Wand, wo sich das Astoria von 1908 bis 1944 und von 1950 bis 1967 befand,

Quellen zu Kapitel IV Der Wiederaufbau des Astoria

  1. Wiederaufbau des „Astoria“ – Senator für das Bauwesen StAB 4,29/1-583
  2. Sitzungen der Baudeputation StAB 4,29/1-103
  3. Senatssitzungen 1947-1950 – Senatsregistratur StAB 3-B.2.No.2416
  4. Amtsleiterbesprechungen 1945-1950 – Senatsregistratur StAB 4,29/1-96
  5. Verkauf des Grundstücks Knochenhauerstr. 6/7 und Herdentorswallstraße 78 durch Emil Fritz an die Stadtgemeinde Bremen 1949, Okt 7.- Senatsregistratur StAB G.7.No.3038

Literatur

Dieser Aufsatz basiert fast ausschließlich auf unveröffentlichten Dokumenten. Die im Folgenden angeführten Werke, Aufsätze und Chroniken wurden nur dort zu Rate gezogen und des besseren Verständnisses wegen zitiert, wo es galt, bekannte Hintergründe des Geschehens in Erinnerung zu rufen. 

800 Jahre Sottrum 1205 – 2005. Hrsg. Vom Heimatverein Sottrum e.V., Sottrum 2005, 416 Seiten

Biographisches Handbuch der deutschsprachigen Emigration nach 1933 -1945, hrsg. von Werner Röder, Herbert A. Strauss, Institut für Zeitgeschichte. Research Foundation for Jewish Immigration, New York. München 1999.

Enzyklopädie des Nationalsozialismus, hrsg. von Wolfgang Benz, Hermann Graml, Hermann Weiß, Stuttgart 1998

Felsing, Monika  (Hrsg.), Unser Astoria. Erinnerungen an Bremens großes Varieté in den fünfziger und sechziger Jahren. Bremen 2008, Books on Demand GmbH, Norderstedt, eine reich bebilderte und detailreiche Darstellung verschiedener Autoren.

Frommann, Arndt, www.diegeschichtederbremereiswette.de , Kapitel 5 „Die Entnazifizierung der Eiswettgenossen, Stichwort 14 Fritz, Emil

Frommann, Arndt, Die Bremer Gästebücher des Hans Wagenführ 1914 bis 1832. 188 Seiten mit 180Abbildungen. Privatdruck. Bremen, 2018. Lesesaal im Staatsarchiv der Freien Hansestadt Bremen (StAB Ab-281)

Hesse, Hans, Konstruktionen der Unschuld. Die Entnazifizierung am Beispiel von Bremen und Bremerhaven 1945 – 1953. Bremen 2005 (Veröffentlichungen aus dem Staatsarchiv der Freien Hansestadt Bremen., hrsg. Von Adolf E. Hofmeister, Band 67)

Jansen, Hans G. / Meyer-Braun, Renate, Bremen in der Nachkriegszeit 1945 – 1949, Politik – Wirtschaft – Gesellschaft. (In der Reihe „Bremen im 20. Jahrhundert, hrsg. von Peter Kuckuk und Karl Ludwig Sommer“), Bremen 1990

Lexikon des deutschen Widerstandes, hrsg. von Wolfgang Benz und Walter H. Pehle, Frankfurt a.M., 1994.

Löbe, Karl, 150 Jahre Eiswette von 1829 in Bremen, Bremen, Erste Auflage 1979. Zweite Auflage postum 1998, hrsg. vom Präsidium der Eiswette von 1829 Bremen.

Marßolek, Inge und Ott, René, Bremen im 3. Reich. Anpassung – Widerstand -Verfolgung, Bremen 1986

OMGUS. Handbuch. Die amerikanische Militärregierung in Deutschland 1945 – 1949, hrsg. von Christoph Weisz. In: Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte 35, hrsg. vom Institut für Zeitgeschichte, München 1996

Pedron, Anna-Maria, Amerikaner vor Ort. Besatzer und Besetzte in der Enklave Bremen nach dem Zweiten Weltkrieg. Bremen 2010 (Veröffentlichungen aus dem Staatsarchiv der Freien Hansestadt Bremen, hrsg. von Jörn Brinkhus, Band 70)

Peters, Fritz, Zwölf Jahre Bremen 1933-1945. Eine Chronik, hrsg. von der Historischen Gesellschaft Bremen, Bremen 1951

Peters, Fritz, Zwölf Jahre Bremen.1945 – 1956. Eine Chronik, hrsg. von der Historischen Gesellschaft, Bremen 1976

Schwarzwälder, Herbert, Bremische Biographie 1912-1962, hrsg. von der Historischen Gesellschaft zu Bremen und dem Staatsarchiv Bremen in Verbindung mit Fritz Peters und Karl H. Schwebel, bearbeitet von Wilhelm Lührs, Bremen 1969

Schwarzwälder, Herbert, Geschichte der Freien Hansestadt Bremen IV, Bremen in der NS-Zeit (1933-1945), Erw. und verb. Aufl. 1995


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